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Zwei junge Mitarbeiter*innen skizzieren einen Prozess an einer durchsichtigen Plexiglasscheibe
Eine agile Methode, von der der öffentliche Dienst profitiert, ist Design Thinking. Die Teams arbeiten lösungsorientiert, empathisch und hierarchiefrei.

Agiles Arbeiten im öffentlichen Dienst II: Design Thinking

Manuela Guderian arbeitet als Agile Coach bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Dort führt sie Teams in die agile Denkweise ein und begleitet sie empathisch bei der Lösung von Problemen. Wir haben sie gefragt: Was ist Design Thinking? Und was ist es nicht? In unserem Gespräch räumen wir mit drei Mythen über eine agile Methode auf, die zunehmend auch im öffentlichen Sektor erfolgreich eingesetzt wird. Was die Kolleg*innen der BVG an Design Thinking begeistert und weshalb agile Methoden und agile Führung einander bedingen, erfahren Sie im Interview mit Manuela Guderian.

 

Interview

Frau Guderian, trotz vieler lobender Worte für Design Thinking gibt es auch die eine oder andere kritische Anmerkung. Zum Beispiel, es vereinfache und strukturiere sehr stark und würde dadurch einengen. Wie sehen Sie das?

Manuela Guderian: Design Thinking reduziert Komplexität. Und setzt einen starken Fokus. Ich würde nicht sagen, dass die Methode sehr stark strukturiert. In der agilen Welt unterscheide ich gern in Methoden und Frameworks. Scrum ist zum Beispiel ein Framework, das wirklich sehr stark strukturiert und sehr stark vorgibt, wie es anzuwenden ist. Das ist beim Design Thinking nicht der Fall. Und deswegen sagen wir auch: Es ist eine Methode.

Wie geht man bei Design Thinking vor?

Es sind sechs Phasen – und hinter diesen sechs Phasen liegen wahnsinnig viele Methoden. Diese anzuwenden und zu kombinieren, das ist eigentlich die Kunst. Wie man im Einzelfall vorgeht, ist abhängig von der Herausforderung, die man hat.

Wie kommt Design Thinking bei den Teams an, mit denen Sie arbeiten?

Die Teams empfinden das als sehr große Unterstützung. Zum einen merken sie, wie effektiv sie arbeiten. Meetings, bei denen nichts rauskommt – wir kennen sie alle –, fallen komplett weg. Die würde ich in meiner Funktion als Agile Coach auch nicht zulassen.

Zum anderen stehen Teams oft vor einer Herausforderung, die sie völlig überfordert. Es tauchen Fragen auf wie: Wo fangen wir denn an? Was ist denn eigentlich unser Thema? Mit Design Thinking wird der Fokus gesetzt und die Teams kommen in kurzer Zeit zu guten Lösungen.

Dabei werden auch echte Nutzer*innen in den Prozess miteinbezogen.  Je nach Thema sind das entweder Mitarbeitende der eigenen Organisation oder Kund*innen. Das haben die meisten Teams, mit denen ich arbeite, in ihrer Arbeitswelt noch nicht erlebt. Diese Struktur ist für viele ein totales Aha-Erlebnis.

Ein weiterer Mythos ist, dass es darum geht, ganz viele tolle Ideen in kurzer Zeit zu produzieren.

Darum geht es nicht. Es geht darum, Probleme zu lösen. Und dazu muss man wirklich verstehen, was das Problem ist. Das klingt banal, wird aber oft vernachlässigt. Und es kostet Zeit und macht Arbeit. Völlig unerheblich ist, ob das ein Produkt, ein Service oder ein Prozess ist.

Beim Design Thinking geht es um ein emphatisches Sich-Einfühlen in die Nutzer*innen. Kann dabei jede*r problemlos jede Perspektive einnehmen, sagen wir zum Beispiel den Blickwinkel junger Mütter?

Damit sprechen Sie den dritten Mythos an. Hier muss man unterscheiden: Es gibt natürlich Design Thinking Projekte, da hat man eine coole Idee und will gucken: Gibt es dafür einen Markt? Dort ist man erstmal in der fiktiven Welt unterwegs. In den öffentlichen Unternehmen und der Verwaltung ist das eher selten. Dort sind Aufgaben und Prozesse bereits vorhanden.

Der zweite Punkt ist: Wir entwickeln Empathie nicht, indem wir sagen: Ich stelle mir vor, ich bin eine Mutter mit einem Kinderwagen und möchte in die Straßenbahn einsteigen. Sondern wir entwickeln Empathie dadurch, indem wir bestimmte Methoden anwenden: Menschen beobachten, mit Menschen sprechen und sich selbst in die Situation begeben. Also tatsächlich selbst mit dem Kinderwagen loslaufen und ausprobieren: Wie steigt es sich damit in die Straßenbahn ein?

Durch die verschiedenen Ansätze, die man je nach Kontext auswählt, gewinnt man erstens Erkenntnisse über die Nutzer*innen und baut zweitens Empathie auf. Und über dieses Empathie-Aufbauen finden die Teams auch ihr Thema, bei dem sie ansetzen müssen.

Ist Design Thinking eine hierarchiefreie Methode?  

In meinen Coachings läuft der Prozess völlig hierarchiefrei ab. Wenn es ein Projektteam gibt, das aus unterschiedlichen Hierarchieebenen besteht –  etwa vom Vorstand bis zur Mitarbeiter*in – dann spreche ich das Thema im Vorfeld an. Falls jemand aus dem Team versucht, seine oder ihre Agenda durchzusetzen, weil sie in der Hierarchie weiter oben sind, dann kläre ich umgehend, dass wir hier gleichberechtigt miteinander im Team arbeiten und Entscheidungen gemeinsam treffen.

Was können Führungskräfte lernen, wenn sie Teil eines Design Thinking Teams sind?

Das Schöne ist, dass das Arbeiten mit der Design Thinking Methode auch für Führungskräfte ein Lernprozess ist. Sie lernen meist zwei Dinge. Erstens: nicht sofort in Lösungen zu denken – und damit meine ich wirklich „sofort“. Und zweitens: die Diversität wertzuschätzen, die es im Team gibt. Egal von welcher Ebene oder aus welcher Abteilung die Teamkolleg*innen sind – jeder Beitrag ist wertvoll, einfach weil jede*r einen anderen Blick auf die Dinge hat.

Zieht Design Thinking als neues Arbeitsmodell ein neues Führungsmodell nach sich?

Ich würde eher sagen, beides bedingt und fördert einander. Design Thinking zu ermöglichen, ist Führungsaufgabe. Dafür sollte die Führungskraft mindestens den Ansatz kennen, idealerweise einmal selbst erlebt haben. Die Führungskraft muss den Prozess nicht selbst coachen können. Aber im Kontext von agilen Methoden ist aus meiner Sicht eine andere Art von Führung erforderlich. Ich nenne sie gern agile oder transformative Führung. Sie ist erforderlich, um agile Methoden anwenden zu können. Und um auf diese Weise zu führen, braucht man agile Methoden. Ich sehe das also eher als Kreislauf oder als zwei Seiten einer Medaille.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Diane Schöppe

 

Manuela Guderian arbeitet bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) als Controllerin und Agile Coach. Sie etabliert im Unternehmen agile Arbeits- und Denkweisen und setzt vor allem auf Design Thinking. Als Agile Coach versteht sie es, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind und ihr Potenzial auszuschöpfen. Die Grundprinzipien des Design Thinkings hat sie an der HPI Academy des Hasso-Plattner-Instituts erworben und sich zudem zum Innovationsmanager am Innovation Campus Berlin weitergebildet.

Profitieren Sie von unserer Expertin!

Sie möchten sich in agilem Denken und Arbeiten weiterbilden? Manuela Guderian ist Referentin unseres Seminars  "Projektmanagement im öffentlichen Dienst"  und spricht am 10.10. über Design Thinking. Sie führt außerdem durch den Workshop, in dem Sie die Methode erleben können. Melden Sie sich gern hier an.