Der öffentliche Dienst profitiert in hohem Maße von agilem Denken und Arbeiten. Vor allem in großen öffentlichen Unternehmen und Verwaltungen ist dies längst angekommen. Die Vorteile der Agilität liegen auf der Hand: höhere Flexibilität, bessere Anpassung und stärkere Resilienz. Eine von vielen agilen Arbeitsmethoden ist The Art of Hosting. Dahinter verbirgt sich eine Reihe von Praktiken, die eine produktive Zusammenarbeit fördern. Wir sprachen mit Ursula Hillbrand, der Pionierin von Art of Hosting im deutschsprachigen Raum, über Agilität als Haltung, agiles Führen und partizipative Formate. Ursula Hillbrand lernte Art of Hosting bei der Europäischen Kommission kennen und brachte die Methode nach Österreich und Deutschland. Heute trainiert sie Teams in Bundesunternehmen wie Deutsche Bahn und Deutsche Energie-Agentur.
Interview
Frau Hillbrand, über Agilität wird viel gesprochen und geforscht. Wie sehen Sie darauf: Wann ist es sinnvoll, agil zu arbeiten?
Ursula Hillbrand: Ich würde so sagen: Agilität braucht es immer, wo Beteiligung ist. Egal, ob ich Stakeholder von außen in meinem Projekt habe oder es ein rein internes Projekt ist. Wichtig ist, dass der Bereich der Agilität transparent mitgeteilt wird, also: Wo kann man mitreden und wo nicht? Zudem ist die Frage des Zeitpunktes wichtig: Wann öffne ich die Diskussion zur besseren Planung, und wie lange halte ich sie offen? Stellen Sie sich vor, Sie haben das Rollout geplant, und nun kommt plötzlich ein neuer Player rein, der übersehen wurde, und auch mitreden möchte.
Ja, was dann?
Dann müssen Sie als Projektleiter*in sehen, ob der späte Zeitpunkt noch eine Veränderung zulässt. In manchen Fällen wird es zu spät sein, in anderen nicht. Etwa wenn man noch ein rostiges Wasserrohr auf einer Baustelle entdeckt, wird man agil sein und es austauschen. Denn wenn ich das nicht tue, ist ein Wasserschaden vorprogrammiert.
Würden Sie sagen, dass Agilität eine Haltung ist?
Absolut. Um in unserem Beispiel zu bleiben: Wenn ich Agilität nicht kann, dann kann ich mit der Realität nicht umgehen und nehme eine Überflutung in Kauf.
Wie passen Agilität und Führung zusammen?
Das wird oft verwechselt. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Jemand muss kurz vor 15 Uhr gehen, weil er sein Kind abholen muss. Wenn ich in meinem Team frage, ob alle wie geplant da sind, erfahre ich das rechtzeitig. Frage ich nicht, weil ich etwa denke, dafür habe ich keine Zeit, dann wird diese Person 5 Minuten vor 15 Uhr aufspringen und das Team verlassen, das eigentlich bis 16 Uhr zusammenarbeiten sollte. Das ist natürlich schlecht für die Teamarbeit.
Was mache ich als Führungskraft, wenn mein Team nicht mit agilem Arbeiten vertraut ist?
Es braucht eine Vorbereitung. Man kann Menschen, die nie agil gearbeitet haben, nicht am Montagmorgen um 9 Uhr sagen: Ab jetzt ist alles anders. Darum gibt es Trainings wie „Agiles Projektmanagement im öffentlichen Dienst“, wie es die Europäische Akademie anbietet.
Welche Kompetenzen sollten Führungskräfte für agiles Arbeiten mitbringen?
Auf jeden Fall Authentizität, Seriosität und Ehrlichkeit. Wenn ich nur gewohnt bin, top-down zu arbeiten, dann ist meine Handlungsfreiheit eingeschränkt. Es ist charakterlich bedingt, ob jemand einen hierarchischen Führungsstil bevorzugt, weniger generationsbedingt. Zudem spielen Herkunft und Werte eine Rolle. Es gibt konservativ denkende junge Menschen, die Teams führen, ebenso wie aufgeschlossene Ältere, denen partizipatives Arbeiten wichtig ist.
Ist agile Führung auch eine Frage von Erfahrung?
Ich denke schon. Nur weil Projektleiter*innen theoretisch gelernt haben, was beispielsweise ein World Café ist, heißt es nicht, dass sie das anmoderieren können.
Das World Café ist eine hilfreiche Methode, um sich über komplexe Themen auszutauschen.
Die Grundidee ist, dass die Teilnehmer*innen miteinander ins Gespräch kommen und in Kleingruppen intensiv diskutieren und reflektieren. Der Fokus liegt auf dem Wesentlichen und es ist ergebnisoffen. Das verlangt einen gewissen Vertrauensraum, damit verschiedene Blickwinkel gehört werden, laute und leisere Stimmen gleichermaßen zum Zug kommen, und nicht das lauteste Argument gewinnt.
Wie es in der Praxis abläuft, muss ich als Projektleiter*in mal miterlebt haben und daraus lernen: Welche Gesprächsformate sind wann passend? Wie setze ich Kleingruppenarbeit und Plenum abwechselnd ein? Agilität hat auch ihre Grenzen und ich muss lernen, diese zu erkennen und dann zu entscheiden: Braucht ein Thema etwas mehr Zeit, weil ein neues Argument wichtig ist für den Prozessverlauf, oder hält es uns eher auf? Wie werden die Erkenntnisse und Ergebnisse von allen getragen, wirksam dokumentiert und in die Umsetzung gebracht?
Das ist die Führung, die man lernen muss. Und das möchte ich auch vermitteln in meinen Trainings in Art of Hosting.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Diane Schöppe