In der Gesetzgebung rund um Artenschutz ist Bewegung. Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht eine neue Änderung in Kraft tritt oder die EU eine Notverordnung erlässt. Hintergrund sind dabei weniger naturwissenschaftliche Überlegungen. Vielmehr stehen im Vordergrund: Der Ausbau von erneuerbarer Energien und das energiepolitische Ziel, sich unabhängiger von russischem Öl und Gas machen. Für die Verantwortlichen in Ländern und Gemeinden bedeutet das: Aufpassen und kein Gesetz übersehen. Und verstehen: Wo wirken die Neuregelungen und wo nicht. Klaus-Ulrich Battefeld, Ministerialrat a.D. im Hessisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, bringt Licht ins Nebeneinander von verschiedenen Gesetzen.
Interview
Ende Januar 2023 hat das Bundeskabinett beschlossen, den Ausbau von Windenergie an Land und auf See sowie für Offshore-Anbindungsleitungen und Stromnetze noch einmal deutlich zu beschleunigen. Was wird sich dadurch ändern?
Klaus-Ulrich Battefeld: Der Ukrainekrieg und die damit verbundene Energiekrise haben die Gesetzgeber in Bewegung gesetzt. Es gilt, die Energieversorgung in Europa möglichst schnell zu stabilisieren. Die EU bearbeitet hierzu die RePowerEU-Richtlinie und die RED-Richtlinie. Sie hat bereits die sog. Notfallverordnung EU 2022/2577 erlassen. Bundestag und Bundesrat haben hierfür am 3. März 2023 die Umsetzungsregelungen beschlossen.
Dies betrifft vor allem die künftige Ausweisung sogenannter „Go-to-Gebiete“ (also Vorranggebiete) für erneuerbare Energien sowie Möglichkeiten, künftige Zulassungsverfahren zu beschleunigen. Bei diesen soll im Wesentlichen die habitat- und artenschutzrechtliche Prüfung bereits bei der Ausweisung dieser Gebiete erfolgen. In der Regel geschieht das dann auf Ebene der Regionalplanung. Die artenschutzrechtliche Prüfung wird für die Auswahl solcher Gebiete unter bestimmten Voraussetzungen erleichtert und kann dann im Zulassungsverfahren wegfallen.
Wie wirken sich die Umsetzungsregelungen auf bereits laufende Anträge aus?
Für bereits laufende Anträge können Antragstellende die Anwendung der Erleichterungen beantragen. Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Speicherung elektrischer Energie liegen ferner im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.
Um es vorsichtig auszudrücken: Wer sieht bei den vielen Änderungen noch durch?
Die parallele Änderung verschiedener Rechtsgrundlagen erzeugt jede Menge Fragen, mit denen die gesetzgebenden Institutionen die Akteure allein lassen. Es gilt einmal mehr: Artenschutz bei Plänen und Projekten ist nicht das, was man sich naturwissenschaftlich darunter vorstellen kann, sondern eine Vielzahl rechtsicherer Kriterien für die Planungs- und Zulassungsverfahren. Hier gibt es viel Erklärungs- und Diskussionsbedarf, für den Einrichtungen wie die Europäische Akademie für Steuern Wirtschaft und Recht gottseidank Plattformen anbieten.
Im Zusammenhang mit dem Ausbau von Windenergie wurde auch das Bundesnaturschutzgesetz angepasst. Nachdem die Novellierung Ende Juli 2022 erst teilweise in Kraft getreten ist, gilt sie seit 1. Februar 2023 nun in Gänze. Was ist hinzugekommen?
Am 1. Februar 2023 ist mit einer Verzögerung von einem halben Jahr eine Änderung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20.07.2022 (BGBl. I S. 1362) in Kraft getreten: Mit Wirkung vom 1. Februar ist in § 26 BNatSchG ein neuer Absatz 3 hinzugekommen. Das halbe Jahr Verzögerung war nötig, damit die Bundesländer gegebenenfalls von der neuen Regelung abweichen können. Anders als zum Beispiel Artenschutzrecht ist das Bundesrecht für Landschaftsschutzgebiete nicht abweichungsfest. Bis die Bundesländer die Vorgaben für die Ausweisung von Windenergiegebieten nicht erfüllt haben, stehen nach der Neuregelung Landschaftsschutzverordnungen der Zulassung von Windenergieanlagen nicht entgegen, egal was in der Verordnung steht. Diese Unwirksamkeit gilt aber nicht, wenn der geplante WEA-Standort in einem Natura 2000-Gebiet (also FFH- oder Vogelschutzgebiet) oder in einer UNESCO-Welterbestätte liegt. Es ist also wichtig aufzupassen, wo die Neuregelung wirkt und wo nicht.
Bei Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen eine ganze Reihe Gesetze und Verordnungen beachtet werden. Gab es weitere Veränderungen in letzter Zeit?
Am 3. März 2023 haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes und anderer Vorschriften (ROGÄndG) beschlossen; hierdurch werden wieder einmal unter anderem Raumordnungsgesetz, UVP-Gesetz, Bundesberggesetz, die atomrechtliche Verfahrensverordnung, das Bundesfernstraßengesetz, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz, Standortauswahlgesetz, Energiewirtschaftsgesetz, Windenergieflächenbedarfsgesetz, Raumordnungsverordnung und das Wind-auf-See-Gesetz geändert. Einige dieser Gesetze waren erst vor kurzer Zeit geändert worden.
Manche der Gesetze stehen zueinander in Konkurrenz. Wie geht man damit um?
Derzeit müssen wir alle fürchterlich aufpassen, dass wir nicht eine der Gesetzesänderungen übersehen. Wichtig sind auch die unterschiedlichen Zeitpunkte des Inkrafttretens der einzelnen Änderungen. Soweit es sich um konkurrierende Gesetzgebung mit Abweichungsrecht der Länder handelt (z.B. Raumordnungsrecht), treten Änderungen erst sechs Monate später in Kraft. Zentrale Punkte sind neben der Umsetzung der EU-Notfallverordnung die Schaffung einer Raumverträglichkeitsprüfung; hierzu wird auch die Raumordnungsverordnung neu gefasst.
Am 3. März 2023 hat der Bundesrat ebenfalls grünes Licht für das Gesetz zur Beschleunigung bedeutsamer Infrastrukturvorhaben gegeben. „Klar korrigierbare Mängel sollen Projekte nicht mehr aufhalten“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann.
Das Gesetz soll verwaltungsgerichtliche Verfahren zeitlich straffen. Ziel ist die Reduktion der Verfahrensdauer für Vorhaben mit einer hohen wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Bedeutung, ohne hierbei die Effektivität des Rechtsschutzes zu beeinträchtigen. Die Änderungen betreffen vor allem die Verwaltungsgerichtsordnung.
Bevor im Bundestag über Gesetze abgestimmt wird, nehmen Sachverständige inhaltlich Stellung. Beispielsweise sahen sie die Neuregelung des 4. Bundesnaturschutzgesetzes überaus kritisch und forderten unter anderem Nachholbedarf bei der konkreten Umsetzung.
Im Vorfeld der Neuregelungen hatte es tatsächlich einige kontroverse Stellungnahmen gegeben, die allerdings zum Teil am Regelungsinhalt vorbeigingen oder zu Änderungen der Gesetzentwürfe führten. Das Nebeneinander verschiedener Änderungsverfahren auf europäischer und Bundesebene macht es schwierig, die Knackpunkte herauszufiltern. Auch hierzu werden wir in der Europäischen Akademie hoffentlich spannende und erhellende Diskussionen führen.
Vielen Dank, Herr Battefeld!
Die Fragen stellte Diane Schöppe