Welche Verwaltungsleistungen haben Sie damals priorisiert?
Da sind wir strategisch vorgegangen und haben uns gefragt: Von welchen Leistungen profitieren die Kund*innen am meisten? Oder anders ausgedrückt: Für welche Leistung ist der Kunde bereit, sich ein Verwaltungskundenkonto anzulegen? Im März 2020 hat Corona die Situation beschleunigt und wir sind mit der Erstattung von Kitabeiträgen gestartet. Sehr schnell hatten wir über 600 Kund*innen im Nutzerkonto. Das war online für die meisten einfacher.
Weil Fragen wie „Was ist ein formloser Antrag? Brauche ich einen Drucker? Habe ich eine Briefmarke oder wann komme ich bei einer Post vorbei?“ sich nicht gestellt haben. Heute läuft es so einfach: online ausfüllen und absenden. Das Geld kommt dann schnellst möglichst aufs Konto – und darum geht es schließlich. Dann nehmen die Bürger*innen das neue System auch an.
Wenn der Antrag online bei Ihnen ankommt, wird dann noch ausgedruckt? Kürzlich hörte man ja, dass das beim bundesweiten BAföG-Antrag der Fall sei und die Ämter dadurch hoffnungslos überlastet sind.
Das Digitale Rathaus stellt für die Verwaltung Funktionen bereit, bei denen die Bearbeitung volldigital ohne Ausdruck stattfindet. Mit Inbetriebnahme unseres Dokumentenmanagementsystems werden dann auch zukünftig alle Dokumente automatisch zentral in der Verwaltung abgelegt. Bei Leistungen, die derzeit noch in vorhandenen Fachanwendungen abgearbeitet werden, können wir die Daten ohne Ausdruck übernehmen. Dies geschieht derzeit noch ohne Schnittstellen, da wir die Kopplung bewusst im Projekt nach hinten verlagert haben – in der Hoffnung, Vorgaben und Richtlinien zu bekommen, die wir im Land einheitlich umsetzen.
Viele Kommunen beklagen eine mangelnde Unterstützung durch die Länder, dabei haben sie die Hauptlast der Digitalisierung zu stemmen. Welche Unterstützung haben Sie durch das Land Sachsen-Anhalt bekommen?
Gar keine Unterstützung.
Gar nicht? Waren Sie kein Pilotprojekt des Landes?
Nein, das war ein Pilotprojekt der Kommune mit einem regionalen IT-Dienstleister! Also wir hatten keine Förderung. Ohne Förderung, ohne alles … Entwickelt haben wir gemeinsam mit der Innocon System, neben dem Tagesgeschäft. Aus dem Finanzministerium oder Innenministerium, die damals federführend waren, hieß es: „Herr Brohm, fangen Sie gar nicht erst an, wir kommen irgendwann auf Sie zu.“ Heute ist das digitale Rathaus eine vom Land getestete Lösung, die sofort auf alle Kommunen übertragungsfähig ist. Wichtig ist, dass wir – Bund, Länder und Kommunen – uns einig sind über das „Big Picture“. Die Frage ist nicht beantwortet, wie und in welchem Format den Kund*innen alle 575 Verwaltungsleistungen anwenderfreundlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Schön wäre doch, wenn das über ein Verwaltungskonto gelingt. Die noch weiteren Dienste der Daseinsvorsorge ermöglicht. Wir möchten mit der Lösung eine tägliche Relevanz bei unseren Kund*innen kreieren.
Und worauf hoffen Sie?
Also ich hoffe auf Schnittstellen zu den Fachverfahren.
Warum sind Schnittstellen so wichtig?
Komplexe IT-Landschaften entstehen, wenn es verschiedene Anwendungen und Programme gibt, die auf bestimmte Leistungen spezialisiert sind. Um einen automatisierten, damit gleichzeitig fehlerreduzierten und schnelleren Ablauf zu erhalten, müssen bestimmte Daten von einer Anwendung an eine andere übergeben werden. Schnittstellen sind komplex und es sollte im Land ein einheitliches Vorgehen existieren, da auch Meldungen zu Anwendungen und Ämtern außerhalb der Stadt Tangerhütte erfolgen. Die Entwicklung einer Schnittstelle ist aufwendig – daher beginnen wir mit dem Einsatz von Schnittstellen, sobald es vom Land Empfehlungen oder Vorgaben gibt.
Welchen Wunsch haben Sie noch an Sachsen-Anhalt?
Ich hoffe, dass alle Beteiligten zur Erkenntnis gelangen, dass eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung an den bestehenden Strukturen ansetzen muss. Es reicht nicht der Einsatz von IT-Lösungen, es geht um die Darstellungen und das Implentieren eines ganzheitlichen Konzeptes. Das schließt die Beteiligung der Mitarbeiter*innen und Kund*innen mit ein.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brohm!
Das Interview führte Diane Schöppe