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Verwaltungsmitarbeiter am Schreibtisch vor einem Bildschirm
Im Oktober 2022 standen Bürger*innen nur 33 von 575 Verwaltungsleistungen flächendeckend zur Verfügung. Tangermünde hat dagegen zu 100 Prozent digitalisiert. (Symbolbild)

Digitales Rathaus: Tangerhütte setzt das OZG fristgerecht um

Tangerhütte hat als erste Kommune Sachsen-Anhalts das Onlinezugangsgesetz umgesetzt – rechtzeitig vor dem Stichtag am 31. Dezember 2022. Bis dahin, so sieht das Gesetz es vor, sollen insgesamt 575 Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen digitalisiert sein. Wie Tangerhütte diese Mammutaufgabe als Kommune gelöst hat und was er sich für die digitale Zukunft des Landes Sachsen-Anhalt wünscht, darüber sprachen wir mit Bürgermeister Andreas Brohm im Interview.

Herr Brohm, als eine von bundesweit nur wenigen Gemeinden sind Sie vor dem Stichtag 31.12.2022 mit der Digitalisierung von 100 kommunalen Dienstleistungen fertig. Wie ist Ihnen das gelungen?

Andreas Brohm: Wir haben rechtzeitig angefangen! Bereits 2017/2018 haben wir eine Organisationsuntersuchung machen lassen und uns dann auf den Prozess vorbereitet. Wir haben damals erkannt, dass es nur digital gehen kann und wir Prozesse ändern müssen. Zudem haben wir gesehen, wie wichtig es ist, von einer streng hierarchischen Struktur wegzukommen und uns stärker in Teams organisiert. Das hat die Zusammenarbeit ungemein erleichtert.

Analoge Prozesse lassen sich nicht 1:1 ins Digitale übersetzen. Wie sind Sie vorgegangen?

Indem wir uns diese Prozesse genau angeschaut haben, Schritt für Schritt. Dazu haben wir unsere Wirtschaftsförderungsstelle umgemünzt in eine Art digitalen Transformator. Das ist quasi der Übersetzer, der die digitalen Prozesse mit der Verwaltungsorganisation zusammenführt.

Das Digitale Rathaus Tangerhütte ging bereits 2020 an den Start, unterstützt durch einen lokalen IT-Entwickler.

Unser regionaler IT-Partner war mit der analogen Situation genauso unzufrieden wie wir. Die Innocon System hat uns einen Werkzeugkoffer an die Hand gegeben und unsere Mitarbeiter*innen haben die Formulare selbst gebaut. Das war ein partizipativer Prozess, der ganzheitlich – vom Frontend zum Backend und wieder zurück –, angelegt ist.

Welche Verwaltungsleistungen haben Sie damals priorisiert?

Da sind wir strategisch vorgegangen und haben uns gefragt: Von welchen Leistungen profitieren die Kund*innen am meisten? Oder anders ausgedrückt: Für welche Leistung ist der Kunde bereit, sich ein Verwaltungskundenkonto anzulegen? Im März 2020 hat Corona die Situation beschleunigt und wir sind mit der Erstattung von Kitabeiträgen gestartet. Sehr schnell hatten wir über 600 Kund*innen im Nutzerkonto. Das war online für die meisten einfacher.

Weil Fragen wie „Was ist ein formloser Antrag? Brauche ich einen Drucker? Habe ich eine Briefmarke oder wann komme ich bei einer Post vorbei?“ sich nicht gestellt haben. Heute läuft es so einfach: online ausfüllen und absenden. Das Geld kommt dann schnellst möglichst aufs Konto – und darum geht es schließlich. Dann nehmen die Bürger*innen das neue System auch an.

Wenn der Antrag online bei Ihnen ankommt, wird dann noch ausgedruckt? Kürzlich hörte man ja, dass das beim bundesweiten BAföG-Antrag der Fall sei und die Ämter dadurch hoffnungslos überlastet sind.

Das Digitale Rathaus stellt für die Verwaltung Funktionen bereit, bei denen die Bearbeitung volldigital ohne Ausdruck stattfindet. Mit Inbetriebnahme unseres Dokumentenmanagementsystems werden dann auch zukünftig alle Dokumente automatisch zentral in der Verwaltung abgelegt. Bei Leistungen, die derzeit noch in vorhandenen Fachanwendungen abgearbeitet werden, können wir die Daten ohne Ausdruck übernehmen. Dies geschieht derzeit noch ohne Schnittstellen, da wir die Kopplung bewusst im Projekt nach hinten verlagert haben – in der Hoffnung, Vorgaben und Richtlinien zu bekommen, die wir im Land einheitlich umsetzen.

Viele Kommunen beklagen eine mangelnde Unterstützung durch die Länder, dabei haben sie die Hauptlast der Digitalisierung zu stemmen. Welche Unterstützung haben Sie durch das Land Sachsen-Anhalt bekommen?

Gar keine Unterstützung.

Gar nicht? Waren Sie kein Pilotprojekt des Landes?

Nein, das war ein Pilotprojekt der Kommune mit einem regionalen IT-Dienstleister! Also wir hatten keine Förderung. Ohne Förderung, ohne alles … Entwickelt haben wir gemeinsam mit der Innocon System, neben dem Tagesgeschäft. Aus dem Finanzministerium oder Innenministerium, die damals federführend waren, hieß es: „Herr Brohm, fangen Sie gar nicht erst an, wir kommen irgendwann auf Sie zu.“ Heute ist das digitale Rathaus eine vom Land getestete Lösung, die sofort auf alle Kommunen übertragungsfähig ist. Wichtig ist, dass wir – Bund, Länder und Kommunen – uns einig sind über das „Big Picture“. Die Frage ist nicht beantwortet, wie und in welchem Format den Kund*innen alle 575 Verwaltungsleistungen anwenderfreundlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Schön wäre doch, wenn das über ein Verwaltungskonto gelingt. Die noch weiteren Dienste der Daseinsvorsorge ermöglicht. Wir möchten mit der Lösung eine tägliche Relevanz bei unseren Kund*innen kreieren.

Und worauf hoffen Sie?

Also ich hoffe auf Schnittstellen zu den Fachverfahren.

Warum sind Schnittstellen so wichtig?

Komplexe IT-Landschaften entstehen, wenn es verschiedene Anwendungen und Programme gibt, die auf bestimmte Leistungen spezialisiert sind. Um einen automatisierten, damit gleichzeitig fehlerreduzierten und schnelleren Ablauf zu erhalten, müssen bestimmte Daten von einer Anwendung an eine andere übergeben werden. Schnittstellen sind komplex und es sollte im Land ein einheitliches Vorgehen existieren, da auch Meldungen zu Anwendungen und Ämtern außerhalb der Stadt Tangerhütte erfolgen. Die Entwicklung einer Schnittstelle ist aufwendig – daher beginnen wir mit dem Einsatz von Schnittstellen, sobald es vom Land Empfehlungen oder Vorgaben gibt.

Welchen Wunsch haben Sie noch an Sachsen-Anhalt?

Ich hoffe, dass alle Beteiligten zur Erkenntnis gelangen, dass eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung an den bestehenden Strukturen ansetzen muss. Es reicht nicht der Einsatz von IT-Lösungen, es geht um die Darstellungen und das Implentieren eines ganzheitlichen Konzeptes. Das schließt die Beteiligung der Mitarbeiter*innen und Kund*innen mit ein.   

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brohm!

Das Interview führte Diane Schöppe

Andreas Brohm (parteilos) ist seit dem 1. November 2014 Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte. Er ist Diplom-Kaufmann und war zehn Jahre lang Musical-Manager, etwa vom Queen-Musical WE WILL ROCK YOU. Die Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte liegt im Norden von Sachsen-Anhalt in der Altmark und hat rund 11.000 Einwohner*innen.