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Drei ratlose Verwaltungsmitarbeitende in drei verschiedenen Büros

Elektronische Akte: Deutschland, ein Flickenteppich

Die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz zeigt, dass bei der Digitalisierung vor allem eins sicher ist: Sie dauert länger, als man denkt. Unser Autor Henning Zander sprach mit Prof. Dr. Henning Müller, Direktor des Sozialgerichts Darmstadt, über die elektronische Kommunikation zwischen Gerichten und Anwält*innen, über das EUREKA-Fach und ein neues, einheitliches Software-System, mit dem der Prozess wieder bei Null anfängt.

Ab dem 1. Januar 2026 soll die Justiz die elektronische Akte eingeführt haben. Doch die Bundesländer legen bei der Umsetzung sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten an den Tag. Während die Regierung von Baden-Württemberg im Sommer 2022 stolz verkündet hat, dass inzwischen alle baden-württembergische Fachgerichte, also die Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichte, vollständig mit der neuen E-Akte ausgestattet sind, hat Hessen erst im Frühjahr dieses Jahres mit der Erprobung eines solchen Systems begonnen: Ursprünglich sollte die E-Akte schon 2019 eingeführt sein. Jetzt wird womöglich sogar der avisierte Termin Ende 2025 knapp.

„Die Situation ist schlimmer, als sie sein müsste“

Prof. Dr. Henning Müller ist Direktor des Sozialgerichts Darmstadt und kennt sich mit der Lage in Hessen aus. „Tatsächlich wirkt die Situation von außen viel schlimmer, als sie eigentlich sein müsste“, sagt Müller. „Es ist etwas verrückt, denn wir arbeiten in der Sozialgerichtsbarkeit mit der E-Akte schon seit 2014. Aber diese E-Akte ist nicht rechtlich führend.“ Das heißt, obwohl alle Vorgänge in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit elektronisch sind, wird immer noch eine Papierakte benötigt, die bei eventuellen Streitigkeiten maßgeblich ist. „In unserer Geschäftsstelle werden deshalb alle elektronischen Dokumente noch einmal ausgedruckt und abgeheftet. Und im Zweifel nie wieder angesehen“, sagt Henning Müller.

Das Problem wäre aus seiner Sicht einfach zu lösen: „Das derzeit vorhandene System EUREKA-Fach wäre bereits für die Einführung elektronischer Akten geeignet und könnte eventuell weiterentwickelt werden“.

Problem lösbar mit dem EUREKA-Fach

Die hessische Sozialgerichtsbarkeit nutzt EUREKA-Fach schon seit 2014. Im System sind Dokumentenablage und -verwaltung integriert, es gibt einen Viewer für Dokumente, umfangreiche Möglichkeiten der Texterstellung und natürlich Funktionen wie eine Volltextsuche. Geht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eine Nachricht ein, wird diese automatisch der vorhandenen Akte beigefügt – vorausgesetzt, der Anwalt hat das Aktenzeichen richtig eingegeben.

„Von Anwälten habe ich schon gehört, dass sie bei den ordentlichen Gerichten Eingaben machen und dann passiert erst einmal monatelang nichts. Bei uns kann es sein, dass die Anwälte schon am selben Tag eine Rückmeldung bekommen“, so Henning Müller. Definitiv sei die elektronische Kommunikation schneller als die papiergebundene und dank der Teilautomatisierung der Eingänge auch zügiger als die Nutzung des Telefaxes. „Die Verfahren sind dadurch deutlich beschleunigt“, so der Direktor des Sozialgerichts Darmstadt. Pro Monat gehen in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit etwa 40.000 Nachrichten ein. Es gibt noch einmal ebenso viele Ausgänge.

Gerade die Verknüpfung von elektronischer Kommunikation und einer entsprechenden Akte bereitet vielen Gerichten derzeit Sorgen. So hat etwa das Amtsgericht Hannover Anfang des Jahres von sich Reden gemacht, als Rechtsanwälte darum gebeten wurden, zusätzlich zu ihren Nachrichten über das besondere elektronische Anwaltspostfach ein Fax zu schicken, weil nicht gewährleistet werden könne, dass die elektronische Nachricht zeitnah bearbeitet wird. In Darmstadt funktioniert das wegen der elektronischen Akte ohne Medienbrüche.

Die E-Akte im Homeoffice und Schulungen auf Augenhöhe

Schon jetzt ist am Sozialgericht Darmstadt alles auf die elektronische Akte ausgerichtet. Die Richter*innen haben einen Arbeitsplatz im Büro und noch einmal einen bei sich zuhause. Er ist ausgestattet mit einem zweiten Bildschirm und einer Dockingstation für den Laptop, den man für das Homeoffice mitnehmen darf. Zudem gibt es ein Lesegerät für die Signaturkarte. Da die Richter*innen auch während der Gerichtsverhandlung mit der elektronischen Akte arbeiten sollen, gibt es in den Sitzungssälen große Touchscreens, die flach auf ihren Tisch liegen und über die sie sich schnell in der Akte bewegen können.

„Bis sich so ein System durchsetzt, muss man eher in Jahren rechnen“, sagt Henning Müller. „Inzwischen ist das für uns Normalität. Aber zu Beginn war es wichtig, für die Kolleginnen und Kollegen niederschwellige Angebote für den Einstieg zu machen.“ Die Schulungen hätten deshalb auch nicht IT-Fachkräfte gemacht, sondern Kolleg*innen, die denselben Arbeitsplatz hatten. „Das sollten Schulungen auf Augenhöhe sein. An den unterschiedlichen Standorten haben wir auch Multiplikatoren, die bei Fragen ansprechbar waren“, erzählt Henning Müller.

Neue Software, altes Problem

Nun fängt das Ganze wieder von vorne an. Denn das Land Hessen hat sich zur Vereinheitlichung der Softwarelandschaft in der hessischen Justiz schon vor einiger Zeit dazu entschieden, zusammen mit NRW und weiteren Bundesländern mit der Software e²A (ergonomischer elektronischer Arbeitsplatz) zu arbeiten – ein vollkommen neues System. Hierfür wurde eine zentrale Stelle eingerichtet, um den Prozess zu organisieren, wo auch das Gros des Personals mit IT-Kompetenz eingesetzt wird. „Für die Gerichte ist dies natürlich schwierig, weil auch dort IT-Personal gebraucht wird“, sagt Müller. Eine zentrale Herausforderung bei der Einführung von e2A sei ferner, dass die neue Software in die bereits vorhandene IT-Infrastruktur eingepasst werden müsse. „Diese Integration ist ein sehr aufwändiger Prozess.“

Henning Zander

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