Die öffentliche Verwaltung soll moderner, digitaler und bürgerfreundlicher werden. Und das am besten sofort. Um den Wandel der Verwaltung voranzubringen, ist ein gutes und zielsicheres Projektmanagement unerlässlich. Denn schließlich bringen Bauprojekte, elektronische Akten und OZG-Online-Anträge eine ganze Reihe komplexer Anforderungen mit sich. Aber wie entgehen Projektleiter*innen und ihre Teams einer Überlastung? Und warum ist ein gutes Mindset entscheidend? Wir fragten nach bei Silke Schönert, Professorin für Projektmanagement und Business Information System an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Die Expertin berät Städte und Gemeinden ebenso wie Ministerien und Behörden im Rahmen von „100 Tage Projektmanagement“.
Interview
In der öffentlichen Verwaltung dreht sich – genauso wie in der Wirtschaft – das Rad immer schneller. Ein Projekt jagt das andere. Wie kann man gut damit umgehen, ohne sich selbst und das Projektteam zu überlasten?
Prof. Silke Schönert: Da gibt es im Wesentlichen drei Dinge. Zum einen hilft eine klare, strukturierte Planung. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Zur Planung gehören sämtliche Überlegungen, angefangen bei der Frage „Warum wird das Projekt durchgeführt?“ bis zu den Risiken. Zum zweiten können Ämter und Behörden auch organisatorisch viel dafür tun, dass Projekte in einem gut vorbereiteten Umfeld stattfinden. Dazu muss nicht alles auf links gedreht werden und die Organisation sich komplett verändern. Es reichen einige klare Prozesse, wie Projekte gestartet werden. Ein Leitfaden ist hilfreich, in dem die Phasen stehen, die das Projekt durchläuft. Und das Dritte ist die Fokussierung auf das Ziel, zum Beispiel durch die Frage nach dem Warum? Und mit Hilfe eines geeigneten Mindsets.
Den Projektmanager*innen kommt eine besondere Rolle zu. Welches Mindset braucht es, um aufs Ziel fokussiert zu bleiben?
Auch hier sind es wieder drei Dinge: Erstens ist es wichtig, das Mindset vom Ende her zu denken. Man neigt meist dazu, vom Anfang her zu denken: Mit diesem Baustein fange ich an, dann folgt jener. Im Englischen gibt es den Spruch: „The End is where you begin“. Also sich das Ziel vor Augen zu führen und dann rückwärts zu überlegen: Wie komme ich dorthin?
Als Zweites braucht es den berühmten Purpose, von dem die Amerikanern gern sprechen. Das ist die Frage nach dem Sinn: Warum mache ich das?
In der öffentlichen Verwaltung wird der Frage oft nicht genug Bedeutung beigemessen. Es gibt dann zwar die gesetzliche Vorgabe, weswegen ein Projekt umgesetzt werden muss – aber was ist der Sinn dahinter? Welche Bedeutung hat es für unsere Gesellschaft? Oder für junge Eltern? Oder für Senior*innen? Wenn ich mir über den tieferen Sinn Gedanken gemacht habe, komme ich viel besser durch mein Projekt.
Und das Dritte ist: Als Projektleiter*in muss ich auch manchmal über den Dingen stehen. Manche Dinge nicht so persönlich nehmen.
Wie meinen Sie das?
In Projekten ist es der Normalfall, dass es Konflikte gibt, und es ist der Normalfall, dass es Widerstand gibt. Wenn mich also jeder Konflikt und jeder Widerstand aus den Schuhen haut, dann bin ich sehr stark damit beschäftigt, mich immer wieder aufzubauen. Ich verliere dann vielleicht irgendwann auch die Hoffnung und die Lust. Das ist natürlich fatal.
Wenn ich ein Projekt leite, sollte ich also zwischen der eigenen Person und der Arbeitspersona unterscheiden können?
Genau. Widerstand und Konflikte haben oft mit persönlichen Bewertungen von Dingen zu tun. Sie zielen nicht in erster Linie auf die Projektleitung ab. Gefühle entstehen immer durch Bewertung. Denken Sie an Fußball: Die einen sind glücklich bei einem Tor, die anderen am Boden zerstört. Objektiv gesehen ist es das gleiche Ereignis. Doch die eine Mannschaft bringt es dem Sieg näher, die andere fürchtet die Niederlage. Es hilft also auf jeden Fall, die eigene persönliche Bewertung aus einem Projekt rauszunehmen.
Die Frage nach dem „Warum“ ist der große Motivator für jedes Projekt. Das hat Simon Sinek in seinem Bestseller über erfolgreiche Führungskräfte, die ihr Team über lange Strecken begeistern, beschrieben. Wie funktioniert das?
Die Antwort auf das Warum muss das Team emotional erreichen. Leider passiert es in der öffentlichen Verwaltung viel zu oft, dass die Frage zu kurz beantwortet wird. Denn nicht die gesetzliche Anforderung an sich ist der Sinn des Projekts, sondern der Grund für das Gesetz. Nehmen Sie zum Beispiel den Ausbau von Kitas, also von Betreuungsplätzen. Natürlich ist das eine gesetzliche Vorgabe, aber diese Antwort lässt einen völlig kalt.
Aber wenn man fragt: Was würde passieren, wenn es das Gesetz nicht gebe? Dann lautet die Antwort: Viele Menschen könnten nicht wieder berufstätig sein, da sie ihre Kinder zu Hause betreuen müssen. Oder: Kinder, die nicht in die Kita gehen, machen erst spät bestimmte Sozialisierungserfahrungen. Dass dieses Gesetz Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat, wird plötzlich emotional erlebbar und nachvollziehbar. Und genau darin liegt das Warum, liegt der Sinn des Projektes.
Projekte sind nicht durchgängig von Erfolg gekrönt, mitunter gibt es Verzögerungen und Rückschläge. Wie kann ein Mindset das abfedern?
Das kann auf unterschiedliche Arten erfolgen: Zum einen kann man die Haltung einnehmen: Wir lösen jedes Problem. Zwar nicht auf Anhieb, aber mit der Zeit. Die Haltung kann das ganze Team einnehmen, aber auch die Projektleitung. Damit überfordert man sich weder, noch weckt man falsche Erwartungen. Eine solche Haltung zu vermitteln, ist sehr konstruktiv und gibt Zuversicht.
Zum anderen kann man sich immer mal wieder an das Warum erinnern. Das geht manchmal verloren. Das Dritte ist, sich das Ziel immer wieder vor auch Augen zu führen, zu visualisieren. Da helfen natürlich auch agile Methoden mit den so genannten Prototypen oder Minimum Viable Products (MVP). Mit ihnen kann man relativ früh Projektfortschritte sichtbar machen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Diane Schöppe