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Eine Teamleiterin streitet während eines Meetings mit ihren Mitarbeiter*innen, weil sie mit ihrer Arbeit unzufrieden ist.
Überforderung zeigt sich oft in Aggressivität oder Abwehr. Modernes Führen setzt dagegen auf eine klare Verteilung von Verantwortung zwischen Mitarbeitenden und Leitungsebene.

Steckt die öffentliche Verwaltung in der Beschleunigungsfalle?

Von zahlreichen Unternehmen weiß man es: Sie stecken in der Beschleunigungsfalle fest, sind permanent unter Druck, setzen ständig neue Projekte auf und bringen laufend neue Produkte auf den Markt. In einer Umfrage in der späten Phase der Pandemie gaben 75 Prozent der befragten Unternehmen an, völlig am Limit zu arbeiten. Vor der Pandemie waren es „nur“ 57 Prozent.

Und wie steht es mit öffentlichen Organisationen? Befinden sich Kommunen, Behörden und öffentliche Unternehmen ebenfalls in der Falle der permanenten Beschleunigung? Wir sprachen mit Charlotte Reiff, Senior Consultant bei energy factory St. Gallen darüber, ob sich das Phänomen auch auf den öffentlichen Sektor übertragen lässt. Und gingen der Frage nach, wo die Führungsebene ansetzen sollte, um dem Hamsterrad zu entkommen. 

Interview

Frau Reiff, ein moderner Staat braucht eine starke öffentliche Verwaltung. Wie müssen wir unsere Verwaltungen aufstellen, damit sie uns in die Zukunft tragen?

Charlotte Reiff: Da spielen sehr viele Aspekte eine Rolle. Als erstes fallen mir die Themen Digitalisierung und künstliche Intelligenz ein. Prozesse zu digitalisieren und zu automatisieren bedeutet ja nicht nur, den Bürger*innen den entsprechenden Service zu bieten, sondern insgesamt effizienter unterwegs zu sein. Aber auch Kompetenzen sind wichtige Themen. Zum Beispiel: Welche Fähigkeiten müssen Verwaltungsmitarbeiter*innen haben oder erwerben, um neue Technologien entsprechend zu nutzen? Dazu kommen Innovation und Experimentierfreudigkeit. Und schließlich: Ist die öffentliche Verwaltung auch als Arbeitgeberin attraktiv? Stichworte sind hier Kulturwandel, Transparenz und Partizipation. Werden die Mitarbeitenden in diesem Wandel und mit Blick auf die Zukunft mitgenommen?

Welche Rolle spielt die Beschleunigung dabei?

Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller dreht. Daher brauchen wir sehr viele Kompetenzen, um uns an immer neue Dinge anzupassen. Wir wissen ja alle nicht, was kommt, sonst könnten wir uns jetzt schon darauf vorbereiten. Krisen sind jedoch mehr oder weniger plötzlich da. Es braucht eine gewisse Flexibilität und Agilität, auch in den Strukturen. So lässt sich schneller auf die Herausforderungen, die auf einen zukommen, reagieren.

In einer Ihrer Umfragen haben Sie festgestellt, dass sich 75 Prozent aller Unternehmen in der Beschleunigungsfalle befinden und einem permanenten Gefühl von Überforderung unterliegen.

Richtig, in mehr als zwei Dritteln der Unternehmen finden wir das vor. Das ergab die Umfrage in der späten Zeit der Pandemie, als der Druck am höchsten war. Das ist eine enorme Zahl. Vor der Pandemie lag die Zahl bei 57 Prozent, was auch schon viel ist. Wichtig finde ich zu betonen, dass der Anstieg in so kurzer Zeit stattfand und dass es nicht um eine kurzzeitige Belastung geht, die man gut bewältigt bekommt. Sondern um die ständige Überhitzung, die einen organisationalen Burnout entsprechend fördert.

Dieses Gefühl hat sicher auch die öffentliche Verwaltung. Wie kommen die Organisationen aus dieser Falle wieder hinaus?

Organisationen sollen zunächst erfassen, auf welcher Ebene sie sich bewegen. Ist es eine generelle Überhitzung oder ist es kurzfristig zu viel? Oder besteht ein Mangel an Fokus? Dann muss ich die Frage klären: Wo packe ich zuerst an? Und anschließend: Sehe ich noch den Rettungsring? Kann ich mich noch über Wasser halten und sehe in Entfernung etwas, wonach ich greifen kann? Herauszubekommen, wo die Organisation steht, kann enorm helfen.  

Mangel an Fokus ist ein interessanter Punkt.

Auf das Thema Fokus können auch Führungskräfte Einfluss nehmen und als starker Puffer fungieren, um eine Überhitzung abzubauen. Doch auch das Team spielt eine wichtige Rolle. Daher sollten sich auch Mitarbeiter*innen darüber unterhalten, was genau ihnen zu schaffen macht: ein Mangel an Fokus, zeitweilige Überforderung oder permanente Überhitzung?

Oftmals wird von Seiten der Führung versucht, die Verantwortung voll und ganz an den einzelnen Mitarbeitenden abzugeben.

Das ist nur das eine Extrem, das Laissez-faire, bei dem die Zügel völlig losgelassen werden, wogegen das andere Extrem ist, die Zügel komplett in der Hand zu halten. Dazwischen gibt es ein riesiges Spektrum. Oft ist Führung ja eher ein Dazwischen. Den Weg hin zu moderner Führung muss man auch mehr in Entwicklungsstufen sehen. Als eine sinnvolle Art und Weise, die Zügel langsam loszulassen.

Wie sieht eine moderne Führung aus?  

Generell kann man sagen, dass wir in einem modernen Führungsverständnis die Themen Partizipation, Inspiration und Übertragung von Verantwortung sehen, jedoch keine völlige Abgabe von Verantwortung.

Wenn ich statt einer autoritären Führung eine flache Hierarchie einführe, auf Flexibilität und Selbstverantwortung setze, dann bricht erst mal der bisherige Halt, die bisherige Struktur weg. Wie lässt sich dieser „leere“ Raum auffangen?

Das ganze passiert glücklicherweise nicht von heute auf morgen, sondern schrittweise. Ich sehe es als Lernprozess, in dem ausprobiert werden muss und in dem auch Fehler gemacht werden dürfen. Wenn zum Beispiel mehr Selbstverantwortung gefordert ist, bedeutet das ein Loslassen für Führungskräfte, aber eventuell auch neue Kompetenzen in puncto Vertrauen und Kommunikation. Es geht ja bei der Veränderung auch darum, einen partizipativen Prozess zu gestalten. Und damit beginnt bereits das Thema Verantwortungsübernahme, wenn wir sagen: Wir gestalten es gemeinsam. Das ist das Schöne, dass damit der Weg auch das Ziel ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Charlotte Reiff ist Senior Consultant der energy factory St. Gallen AG. Seit 2017 begleitet sie Organisationen in Veränderungsprojekten rund um die Themen Kultur, Führung und New Work. Aufgrund ihres Studiums an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg hat sie eine besondere Affinität für die Anliegen öffentlicher Verwaltungen.

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