Dem Bundesbildungsministerium ist es ernst mit einer sinnvollen Reform des WissZeitVG. Daran ließ Dr. Jens Brandenburg, parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, keinen Zweifel aufkommen. So solle vor allem in die frühen Karrierephasen mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit hineinkommen, stellte er auf dem Austausch zur Befristungsgrenze für Postdocs fest. Anlass sind Erkenntnisse aus der Evaluation, die das Ministerium in Auftrag gegeben hatte und die im Frühjar 2022 vorgestellt wurde. Etwa die erschreckende Tatsache, dass Wissenschaftler*innen erst mit durchschnittlich 40 Jahren ihre erste unbefristete Stelle antreten. Das ist eine hohe Belastung für den einzelnen, die auch für die gesamte Wissenschaftslandschaft zum Problem werde, war sich Jens Brandenburg sicher. „Außerdem ist das im internationalen Vergleich sowie mit Blick auf die Industrie kein Standortvorteil“, so Brandenburg weiter.

Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Kein Kompromiss in Sicht
Amrei Bahr von #IchbinHanna machte einen konkreten Vorschlag zu Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase, und zwar eine Anschlusszusage. „Beschäftigte und Arbeitgeber treffen zu Beginn eines zeitlich klar begrenzten Arbeitsverhältnisses eine verbindliche, den jeweiligen Fachkulturen angemessene Ziel- und Leistungsvereinbarung.“ So lautet die Forderung der Initiative, die unter #IchbinHanna seit zwei Jahren auf die prekäre Situation im Wissenschaftsbereich aufmerksam macht.
Ganz anders sieht der Deutsche Hochschulverband (DHV) die Sache. Die Postdoc-Phase sei neben der Promotionsphase vor allem die entscheidende Qualifikationsphase, in der es darum gehe, das eigene wissenschaftliche Betätigungsfeld zu bestellen, so Yvonne Dorf vom DHV. Mit deutlichen Worten sprach sie sich gegen eine Anschlusszusage aus: „Wer aber jede Postdoc-Stelle von Beginn an zwingend mit einer Anschlusszusage bei Erreichen bestimmter definierter Ziele versehen will, der setzt auf irreale Haushaltszuwächse, auf ein Wunschdenken. Und vor allem nimmt er auch achselzuckend in Kauf, dass zukünftig die Karriere in der Wissenschaft für junge Wissenschaftler*innen verringert ist.“
Ob eine Anschlusszusage, wie sie von einigen gefordert wird, auch ein Desinteresse an ausreichend Karrierechancen beinhaltet, ist fraglich. Offen tritt jedoch zu Tage, wie erbittert die verschiedenen Interessensvertreter*innen hier für ihre Belange kämpfen.
Sollte die Tarifsperre gestrichen werden?
Katja Becker von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sieht viele positive Punkte im Eckpunktepapier zur Reform des WissZeitVGs, das das Bundesbildungsministerium am 17. März vorgestellt hatte und auf dessen Grundlage man nun diskutiert. Jedoch sieht auch sie die Ausgestaltung der Postdoc-Phase kritisch, ebenso wie die beabsichtigte Öffnung der Tarifklausel. Die DFG fürchtet hier eine Zersplitterung der Beschäftigungsbedingungen zwischen den Ländern, was einen Wechsel zwischen Institutionen und Ländern erschweren würde, so Katja Becker.
Auch Andreas Keller von der Bildungsgewerkschaft GEW appellierte an das Bundesbildungsministerium: „Streichen Sie die Tarifsperre aus dem WissZeitVG, damit die Sozialpartner, die Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Möglichkeit haben, bessere Regelungen in Tarifverträgen auszuhandeln.“
Grundsätzlich kann sich die GEW vorstellen, dass Postdocs entweder Dauerstellen bekommen oder Zeitverträge, die mit einer Entfristungszusage verknüpft werden. Diese Art Zeitverträge könne die GEW akzeptieren. Wichtig sei jedoch, dass die Entfristungszusage transparent sei und dass die Ziele, die mit den Wissenschaftler*innen ausgehandelt werden, auch erreichbar sind.
Kein guter Kompromiss: Das arithmetische Mittel
Am Ende wird es wohl keine Reform geben können, mit der alle Stakeholder zu 100 Prozent einverstanden sind. Es wird auf einen Kompromiss hinauslaufen. Mathias Kuhnt vom Netzwerk gute Arbeit in der Wissenschaft, NGAWiss, mahnte jedoch an, nicht einfach das arithmetische Mittel aus den beiden vorherrschenden Positionen zur Höchstbefristungsgrenze zu bilden. „Wir sind in einer schwierigen Situation, vor allem wenn man nur darüber redet, was die maximale Befristungszeit in der Postdoc-Phase sein soll.“ Die Positionen lägen diametral auseinander: Die eine Seite sieht die Qualifizierung als abgeschlossen an und will daher eine zügige Dauerbeschäftigung. Die andere Seite möchte die großzügigen Befristungsmöglichkeiten beibehalten. Die maximale Höchstbefristung von drei Jahren, die das Eckpunktepapier des Ministeriums jetzt vorsieht, wäre der Kompromiss aus beiden Positionen.
Mathias Kuhnt, der auch Referent der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft und Recht ist, sieht es so: „Mit der Doktorarbeit beweisen die Doktoranden ihre Fähigkeit zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit. Die Qualifizierung ist damit abgeschlossen. Und an der Stelle müssen die Hochschulen in der Lage sein, zu entscheiden, wen sie im System halten wollen und wen nicht.“
Wie geht es weiter mit dem WissZeitVG?
Staatssekretär Jens Brandenburg sieht die Diskussion zur Höchstbefristungsgrenze nicht als abgeschlossen an. Ganz im Gegenteil: Man werde die Positionen der verschiedenen Seiten sowie den Input aus Positionspapieren und E-Mails mitnehmen und vor dem Referentenentwurf noch einmal genau fokussieren. Die Koalition werde entscheiden, „wie wir die nächsten Schritte weiter gehen. Aber auch die Phasen danach, Referentenentwurf, Verbände-Länder-Anhörung – da gibt es noch mal Zeit für Feedback und um in die Details zu gehen. Und auch im parlamentarischen Verfahren wird sicher einiges noch mal kritisch geprüft und diskutiert werden.“
Die letzte Novellierung des WissZeitVG liegt sieben Jahre zurück. Und auch damals waren sich die Beteiligten schon einig, dass etwas getan werden muss am System der befristeten Verträge in der Wissenschaft. Bleibt zu hoffen, dass es nicht weitere sieben Jahre dauert, bis man hier einen guten Kompromiss findet.
Diane Schöppe
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